Thomas MinderGastartikel & Reden1 Kommentar

Liebe Schaffhauserinnen und Schaffhauser

Im SN-Interview vom letzten Samstag befürwortet Regierungsrat Ch. Amsler das institutionelle Rahmenabkommen. Er liegt falsch. Warum?

Ziel dieses Vertrages ist zweifelsohne die Streit­bei­le­gung. Zudem bekräftigt die EU, die bilateralen Verträge seien überholt, man wolle mit diesem Vertrag die zu­künf­tige Zusammenarbeit regeln. Die EU will uns ihre dyna­mi­sche Rechts­über­nahme aufer­legen. Ganz grundsätzlich ist streiten schlecht und alles andere als förderlich für eine Beziehung.

Doch die Differenzen, welche die EU mit der Schweiz hat, sind alles andere als juristische Streitigkeiten. Es sind politische Auseinandersetzungen – oder viel mehr Macht­manöver. Somit ist es falsch, die grossen Diskrepanzen, wie die von der EU gewünschte Unionsbürgerrichtlinie, die Koordinierung der Sozialversicherungen und die staatlichen Beihilfen per Schiedsgericht regeln zu wollen. Nie und nimmer dürfen derart grundlegende und zentrale Macht­positionen der EU vor einem Schiedsgericht gelöst werden. Sie sind politischer und nicht rechtlicher Na­tur. Sie müssen im Gespräch und nicht juristisch gelöst werden.

Es stimmt, dass die Schweiz zu Beschlüssen des Schiedsgerichtes Nein sagen könnte. Tut sie dies, so folgen Ausgleichmassnahmen. Diese müssen verhältnismässig sein. Doch leider weiss niemand, was das genau heisst. Kürzlich in der Aussenpolitischen Kommission erwähnte Bundesrat Cassis, dass diese Strafe bis zur Aussetzung eines bilateralen Vertrages gehen kann. Wahrlich tolle Aussichten für die demokratisch organisierte Schweiz. Wir können zwar Nein sagen, werden dafür aber bestraft. Die Höhe der Busse dik­tiert die EU. Da muss man nicht Prophet sein, um zu erken­nen, dass neue Streitigkeiten vorprogrammiert sind. Der Schiedsgerichtsspruch obsiegt in jedem Fall, denn der Rahmenvertrag ist ein völkerrechtlicher Vertrag und geht unserem Landesrecht vor. Die Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger wird zur Makulatur.

Schon heute ist der Streitmechanismus zwischen der EU und der Schweiz geregelt. Dazu dient der gemischte Ausschuss. Und warum wehrt sich die Schweiz nicht, dass sie trotz bilateralem Forschung- und Studenten­aus­tausch­abkommen während einem Jahr ausgesetzt wurde? Warum hat da der gemischte Ausschuss nicht bindend zu Gunsten der Schweiz entschieden? Dazu braucht es kein Schiedsgericht. Und schon gar nicht ein Schiedsgericht, welches für alle europapolitischen Fragestellungen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) als bindenden Entschei­dungsträger herbeiziehen kann respektive muss.

Anscheinend sind die einzelnen bilateralen Verträge, die man uns als matchentscheidend für den Wohlstand der Schweiz verkauft, so schlecht, dass es drumherum einen Rahmen – einen Rahmenvertrag – zur Streitbeilegung braucht. Man kann mit der Problemlösung schon zuhinterst beginnen und zuerst den Streitmechanismus angehen. Cle­ve­rer wäre es, ungenügende Verträge in Frage zu stellen oder sich deren Verbesserung zu widmen.

Die Befürworter des Rahmenvertrages machen einen kapitalen Fehler. Sie glauben, die Streitigkeiten, die Drohungen und die Piesackerei würden aufhören. Woher nehmen sie diese Gewissheit? Wo im Vertrag steht, dass die Retentionen aufhören werden? Wo? Die Antwort ist simpel: nirgends!

Der Ausschluss aus dem Forschung- und Studentenaus­tauschprogramm «Erasmus», die Nicht-Umsetzung der Mas­seneinwanderungsinitiative, die Aussetzung der Börsen­äqui­valenz – wir kennen diese Strafen seitens der EU. Und dies, obschon wir bestehende Verträge haben. Neuerdings droht uns die EU auch beim Strombezug. Der Rahmenvertrag betrifft nur die fünf Marktzugangsabkom­men. Alle anderen grob 115 Verträge mit der EU sind dem­zufolge nicht betroffen und die Piesackerei kann munter weitergehen. Das heisst, es ist ein Leichtes für die EU ihre Retentionen einfach auf diese Verträge und Gebiete zu verschieben.

Sind die Befürworter des Rahmenvertrages so naiv zu glauben, mit der Unterzeichnung seien all die Retentionen, Drohungen und die Piesackerei vorbei? Leider hat unsere Diplomatie kläglich versagt. Die beiden Hauptziele, den stän­di­gen Drohungen der EU ein Ende zu setzen und unsere bi­laterale Beziehung mit der EU nachhaltig zu regeln, wurden mit diesem Rahmenvertrag bewie­se­ner­massen nicht erreicht.

Zudem wäre es für die Schweiz brandgefährlich, die von der EU angestrebte Unionsbürgerrichtlinie, die verpönten schweizerischen staatlichen/kantonalen Beihilfen und der viel höhere Standard unserer Arbeitslosen- und Sozialhilfe vor einem Schiedsgericht juristisch zu regeln.

Thomas Minder,
parteiloser und unabhängiger Ständerat des Kantons Schaffhausen seit 2011

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Ein Kommentar zu “Das institutionelle Rahmenabkommen hat gravierende Mängel”

  1. Grüezi Herr Minder

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    Wie lauten Ihre Kontoangaben.

    Freundliche Grüsse
    Esther Wanner

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