Phillip Gut, «Nebelspalter» vom 15. Oktober 2022
Viel ist schon über Lobbyismus und die Abhängigkeit der eidgenössischen Parlamentarier von Mandaten und Pfründen geschrieben worden. Kein Geheimnis ist, dass beispielsweise der Solothurner Kurt Fluri (FDP) auf so vielen Hochzeiten tanzt, dass einem schon beim Zuschauen schwindlig wird. Doch kehren wir den Spiess einmal um und fragen wir: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Unabhängigste im ganzen Land?
Erste Erkenntnisse liefert das Register der Interessenbindungen. Dabei fällt auf, dass die Damen und Herren Ständeräte generell sehr viele Mandate innehaben. Die entsprechenden Listen sind bei ihnen erheblich länger als bei den Kollegen im Nationalrat. Es gibt schlicht keinen einzigen Ständerat, der keines oder auch nur wenige Mandat hätte. Mit einer Ausnahme: dem parteilosen Schaffhauser Thomas Minder (wir kommen darauf zurück).
Freisinnige und Grünliberale fehlen
Im Nationalrat gibt es hingegen eine bemerkenswerte Minderheit von Politikern, die keine Interessenbindungen eingegangen sind. Darunter sind Linke wie Rechte sowie Vertreter der Mitte, aber keine Freisinnigen und keine Grünliberalen.
Null Mandate haben etwa die beiden SVPler Michaël Buffat (VD) und Mauro Tuena (ZH), die Mitte-Politiker Jean-Paul Gschwind (JU) und Sidney Kamerzin (VS), die Sozialdemokratin Samira Marti (BL) sowie die Grünen Sophie Gigon (VD) und Stefania Prezioso Batou (GE).
Auffällig ist weiter, dass – wenn überhaupt – eine Reihe von SVP-Parlamentariern nur sehr begrenzte Drittverpflichtungen eingegangen sind. Dazu zählen Martina Bircher (AG), Yvette Estermann (LU), Andreas Glarner (AG), Jean-Pierre Grin (VD), Peter Keller (NW), Roger Köppel (ZH), Monika Rüegger (OW) und Barbara Steinemann (ZH).
Der Typus des Pragmatikers
Die Motive für die Mandatsabstinenz sind unterschiedlich. Typologisch kann man zwischen Überzeugungstätern und Pragmatikern unterscheiden.
Zum Typus des Pragmatikers gehört der Bankstellenleiter Michaël Buffat. Er sagt: «Ich habe kein Mandat, weil ich als Milizpolitiker neben meinem Job und der Politik keine Zeit für anderes habe.» Er wolle niemandem einen Vorwurf machen, der Mandate sammle. Dies bringe nützliche Kenntnisse in die parlamentarische Arbeit ein.
Ähnlich argumentiert die junge Linke Samira Marti: Ein «abgeschottetes Parlament» sei nicht unbedingt ein gescheiteres. Problematisch werde es allerdings, «wenn grosse Geldflüsse im Spiel sind». Verdiene jemand mehr mit Mandaten als mit dem parlamentarischen Amt, entstünden «systematische Abhängigkeiten».
Die Obwaldner Nationalrätin Monika Rüegger gehört ebenfalls zur Gruppe jener Parlamentarier, die nicht auf Mandate scharf sind. Zwanzig oder mehr Mandate zu kumulieren, wie es ein Kurt Fluri und andere tun, hält sie für unseriös. Auch stört sie sich daran, wenn staatliche Betriebe Politikern Pöstchen zuschanzen, wie es auch auf kantonaler Ebene oft geschehe. Dennoch würde Rüegger «nicht kategorisch Nein sagen» zur Übernahme eines Mandates. In ihrem Heimatkanton beispielsweise spiele der Tourismus eine volkswirtschaftlich entscheidende Rolle. Es sei deshalb vertretbar, sich in diesem Bereich zu engagieren.
Die Überzeugungstäter
Ein Repräsentant derer, die aus Prinzip keine Mandate annehmen, ist Sidney Kamerzin. Der Anwalt aus Siders meint, die Bevölkerung lege grossen Wert auf die Unabhängigkeit der Politiker. «Wie kann man unabhängig abstimmen, wenn man als Mitglied eines Verwaltungsrats bezahlt wird?», fragt Kamerzin. Das beste Beispiel sei das Gesundheitswesen: Die direkte Abhängigkeit verhindere Reformen und führe zu höheren Prämien. «Gewählte Volksvertreter sollten nicht in Kommissionen sitzen, wenn sie Verwaltungsratsmandate innehaben haben, die mit der Tätigkeit der Kommission in Verbindung stehen», so Kamerzin.
Grundsätzlich argumentiert auch die Ärztin Yvette Estermann: «Ich will den Menschen im Kanton Luzern eine Stimme verleihen und mich für ihre Anliegen und Überzeugungen einsetzen.» Das gehe nicht, wenn man wegen einem Mandat auf verschiedene Organisationen und Firmen Rücksicht nehmen müsse. «Als Volksvertreterin bin ich zuerst dem Volk verpflichtet», sagt auch Martina Bircher.
Mitte-Nationalrat Christian Lohr (TG) verzichtet bewusst auf Mandate. Das sei «eine Frage der Haltung». Es sei wichtig, dass die Parlamentarier unabhängig arbeiten und entscheiden könnten. «Wir müssen auch eine Vogelperspektive einnehmen und das grosse Ganze sehen.» Das gehe nicht, wenn Partikularinteressieren vorherrschen würden. Er erhalte viele Reaktionen der Wähler zu dieser Problematik, erzählt Lohr. Sie wünschten sich Politiker, die weder von der Politik noch von den mit dem politischen Amt verbundenen Mandaten abhängig seien.
Berufspolitiker und Beutejäger
Auf eine wichtige Unterscheidung in diesem Zusammenhang weist SVP-Nationalrat Peter Keller hin. Es sei nicht das Gleiche, ob jemand mit einem Mandat ins Parlament gewählt worden sei – oder ob er dank der Wahl neue Mandate erhalte. Die Entschädigungen seien oft so hoch, dass viele Parlamentarier faktisch zu Berufspolitikern würden – und damit existenziell abhängig vom Amt. Dies widerspreche dem Prinzip des Milizsystems.
Das zeigt: Nicht jedes Mandat ist gleich problematisch. Es kommt auch darauf an, in welchem Verhältnis zum Staat ein Mandatsträger steht. Steht er im Sold einer Organisation, die ihm den Auftrag erteilt, beim Steuerzahler etwas zu holen? Dann ist er ein Beutejäger, wie sie zahlreich im Lager der linken Hilfswerks- und Umweltlobbyisten anzutreffen sind.
Er ist total unabhängig
Aber wer ist nun der unabhängigste Politiker im Land? Es gibt, wie gezeigt, einige, die Anspruch auf diesen Ehrentitel hätten. Unsere Wahl fällt aber auf Thomas Minder.
Denn Minder ist, erstens, der einzige von 46 Ständeräten, der konsequent auf ein Mandat verzichtet. Zweitens ist er parteilos. Drittens ist er selbständiger Unternehmer. Viertens ist er unverheiratet. Mehr Unabhängigkeit an allen existenziellen Fronten geht einfach nicht!
Überlassen wir deshalb das letzte Wort dem Sieger unseres kleinen Wettbewerbs. «Ich nehme keinen Franken entgegen, ich will meine totale Unabhängigkeit bewahren», sagt Thomas Minder. Und an die Adresse seiner mandatierten Kollegen: «Wenn es darauf ankommt, drücken sie immer die Taste, die das Geld bringt.»
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2 Comments on “Ranking: Der unabhängigste Politiker der Schweiz”
Nur solche Parlamentarier wie Thomas Minder bräuchten wir in Bern
20-30% Personen oder auch mehr in den Kantonen und auf Bundesebene wählen parteilos. Es braucht einen Bundesrat, der diese im besten Sinne direktdemokratische Bevölkerungsgruppe vertritt.