Direkte Demokratie bedeutet Herrschaft des Volkes
«Dans l‘histoire des peuples la Suisse aura le dernier mot», sagte der französische Schriftsteller Victor Hugo. Das heisst nichts anderes, als dass in der Schweiz, mit ihrem direktdemokratischen System und dem Instrument der Volksinitiative, niemand anders als der Souverän entscheidet, was Sache ist. Nicht das Parlament, nicht die Regierung, nicht die Richter, nicht die Funktionäre, nicht Politiker, nicht die Diplomanten und nicht die Verwaltung – weder im In- noch im Ausland – entscheiden, was in unsere Verfassung kommt.
Einzig und allein die Bürgerinnen und Bürger haben in der Schweiz das letzte Wort. Ein höheres Rechtsgut als die Verfassung gibt es nicht. Kein Land gewichtet völkerrechtliche Verträge höher als ihre eigene Verfassung. Mit dem «doppelten Ja» des Volkes und der Stände bestimmt der Schweizer Bürger zusammen mit den Kantonen seinen politischen Willen von Verfassungsrang.
Seit ihrer Einführung im Jahre 1891 sind 22 Volksinitiativen angenommen worden. Der Souverän will, dass das, was er an der Urne gutgeheissen hat, auch wirklich umgesetzt wird. Das war in vielen Jahrzehnten der Fall. Seit einigen Jahren jedoch werden verschiedene Volksbegehren kaum mehr wortgetreu umgesetzt – es begann mit der Alpeninitiative und setzte sich fort mit der Verwahrungsinitiative, der Ausschaffung krimineller Ausländer und der Masseneinwanderungsinitiative.
Bundesbern und Bundesgericht gewichten internationale Verträge wichtiger als die eigene Bundesverfassung. Dies, obwohl Volksinitiativen die hohe Hürde des «doppelten Ja» übersprungen haben, was bei internationalen Verträgen so gut wie nie der Fall ist. Diese haben lediglich das «einfache Ja» des Referendums überstanden. Die bilateralen Verträge (I und II) werden vom Parlament und vom Bundesgericht höher gewichtet, obwohl sie nicht Teil der Bundesverfassung sind.
Der Souverän will – ohne Wenn und Aber – dass sein Ja an der Urne zu einer eidgenössischen Volksinitiative nicht nur Gültigkeit, sondern auch Wirkung hat. Angenommen, die Gewerkschaften lancieren eine Volksinitiative «zum Schutz der flankierenden Massnahmen» und sie obsiegen, so wollen auch sie, dass das Parlament dem Initiativtext bei der Umsetzung folgt. Oder wenn der Arbeitgeberverband mit einer Volksinitiative «kein Vaterschaftsurlaub » durchdringen sollte, so will auch er, dass sie wortgetreu umgesetzt wird.
Unabhängig davon, ob ein völkerrechtlicher Vertrag früher oder später ein angenommenes Volksbegehren tangiert. Es ist mehr als logisch, dass einmal abgeschlossene Verträge zwischen Menschen, Firmen, Staaten – falls sich die Umstände geändert haben – angepasst werden müssen. Gegenwärtig wünschen sich viele Schweizerinnen und Schweizer ein Importverbot von Palmöl aus Indonesien und Malaysia zum Schutz des Regenwalds und der inländischen Raps- und Sonnenblumenöl-Produzenten. Dasselbe gilt für tierquälerisch erzeugte Waren, wie Stopfleber und Pelz von Wildtieren aus dem Ausland. Der Konsument möchte, dass die hiesigen hohen Standards des Tierwohls nicht unterlaufen werden. Volksinitiativen mit diesen Forderungen sind wünschenswert und müssten für gültig erklärt werden. Obsiegen sie, so müssen auch diese Volksbegehren wortgetreu umgesetzt werden. Als Teil der Bundesverfassung sollten sie völkerrechtlichen Verträgen vorgehen. Jeweilige Freihandelsabkommen, WTO- oder GATT-Verträge dürften nicht entgegengehalten werden. Leider ist dies heute nicht der Fall.
Die Bundesverfassung, unser höchstes Rechtsgut, ist nicht verhandelbar. Dies ist der Grund, warum alle Mitglieder des Bundesparlaments und des Bundesrats obligatorisch den Schwur oder das Gelübde auf unsere Bundesverfassung ablegen. Die Bundesverfassung ist kein Wunschzettel. Deshalb sollte man am 25. November Ja stimmen zur Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter».
Thomas Minder, Ständerat (Schaffhausen, parteilos)
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